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7000 Kilometer - Ziemlich weit für Jemand der nicht gerne Fahrrad fährt

In Cape Town 🇿🇦 Tafelberg im Hintergrund
In Cape Town 🇿🇦 Tafelberg im Hintergrund

Voller Motivation bin ich früh aufgestanden Heute. Schliesslich soll es Heute nicht mehr regnen und ich werde bestimmt in der Lage sein eine grosse Strecke zurückzulegen. 

 

 

 

 

 

 

Es stimmt, es hat aufgehört zu regnen, ist aber kalt und der Wind hat kein bisschen nachgelassen. Ich muss mir die letzten Kilometer meines Abenteuers wohl noch richtig abverdienen. 

Es fühlte sich an als würde ich kein bisschen vorwärts kommen. In meinem Kopf habe ich meine Tagesetappe nun schon mehrmals verkürzt. Ich biss durch bis ich zu einer Raststätte mit Restaurant kam. Es ist die Gabelung nach Yzerfontein, eine weitere Stadt am Meer. Da die Stadt aber 10 Kilometer von der Hauptstrasse liegt, wollte ich auf gar keinen Fall dorthin gehen. 

Auf halber Strecke dorthin soll es aber mehrere Lodges geben - laut Google. 

Ich genehmigte mir einen Kaffee im Restaurant und fuhr dann dorthin. 

Von den Vier(!) Lodges war keine einzige geöffnet, vorhanden oder gewillt mich aufzunehmen. Ich weiss, dass man nicht allzu fest auf Google vertrauen kann (5 Monate Afrika) aber so eine von den Viern hätte schon vorhanden sein können. 

Auf der Rückfahrt dann passierte es. 

Etwas was ich gedacht hatte es würde mir nicht mehr passieren. Einen platten Reifen. Mein Vorder und Hinterpneu waren voll mit Dornen. Hunderten von Dornen, die ich zum Teil nur mit den Zähnen entfernen konnte. 

Es sind nur platte Reifen, ich weiss.... Wie oft habe ich diese repariert? 

Es passierte einfach nur völlig im falschen Moment. 

Ich stand am Strassenrand und weinte wie ein kleines Mädchen und hoffte, dass wenigstens Niemand anhalten und mir seine Hilfe anbieten würde. Ich hatte keinen Nerv. Für Nichts und Niemanden. 

 

Ich war so wütend, dass ich die Taschen auf den Boden schmiss und alles weit um mich verteilt vorfand. Der Wind half mit meine Sachen noch weiter zu verstreuen. 

Nur Arby würde ich nie auf den Boden schmeissen. Er wird behutsam umgedreht und einmal mehr auseinander geschraubt. 

Dann tatsächlich, hielt ein Auto an und ein Typ wollte mir "a hand" geben. 

Ich riss mich zusammen und war glaub ich nicht unfreundlich aber sehr wortkarg. 

Zum Glück hat der unter meiner Sonnenbrille meine Tränen aus Wut, Schmerz und Erschöpfung nicht gesehen. 

Irritiert zog er weiter und dachte sich wohl ich hätte meine Tage. 

Verdammt richtig!!! 

 

Auf der anderen Seite der Kreuzung soll es ebenfalls noch eine Lodge geben und als Arby wieder ganz und die Taschen montiert waren, machte ich mich auf, um diese Lodge zu suchen. Nach Drei weiteren Kilometern stellte es sich heraus, dass diese auf einem Hügel (sicher 100 Hm) und nur per Sandtrasse erreichbar sind. Nichts für mich und Arby. Man stelle sich nur vor, diese Lodge wäre dann auch noch geschlossen gewesen. 

Ich bin nun gute 10 Kilometer an mehr oder weniger dem selben Ort gefahren und will nur noch weg. Egal wie weit es noch ist. Wasser hatte ich keines mehr und es wäre ein Leichtes gewesen, nochmals bei der Raststätte zu halten aber ich bog nun auf die R27 ein, weiter Richtung Süden. 

Ach, wäre ich doch besser gleich nach Yzerfontein gefahren.... 

Nur 200 Meter weiter, bemerkte ich einen weiteren platten Hinterreifen. 

Mein Gemütszustand war nun auf dem Tiefpunkt und ich schob Arby nun doch zurück in den Hinterhof des Restaurants. Bevor ich irgendwas unternehme bestellte ich mir ein Bier und die Karte. Ich war hungrig, müde und hässig. Eine gefährliche Situation für alle um mich rum. 

 

Ich reparierte den Pneu dann doch während ich aufs Essen wartete. 

Kein Wunder hatte ich erneut einen Platten, bei all den Dornen. Ich hatte wohl beim ersten Mal nicht alle erwischt. 

Nachdem ich gegessen hatte, ging es mir schon ziemlich viel besser. 

Da kam der Chef der Raststätte zu mir und fragte, ob ich die Frau sei, die eine Unterkunft sucht. Sein Vater wäre auch ein Radfahrer und wüsste bestimmt was. 

Nach 5.5 Monaten kenne ich das afrikanische "it's not far" "just over the hill" " just around the corner" 5 Kilometer sind mindestens 25 und das höre ich stets von Menschen, die noch nie auf einem Fahrrad gesessen haben. 

Wenn der Vater aber auch Fahrrad fährt stehen meine Chancen vielleicht gut, dachte ich mir. 

Kurze Zeit später standen Vater und Sohn vor mir und luden mich zu sich nach Hause ein. Sie würden mich mit dem Auto mit nach Yzerfontein nehmen wo sie wohnten.

 

Was für ein Glück ich hatte. Reg und seine Familie sind supernett und ich durfte in einem wunderschönen Zimmer mit Meersicht schlafen und war zum Abendessen mit der Familie eingeladen. Als wir so unsere Lebensgeschichten austauschen, fanden wir heraus, dass Jaime, (den ich in Livingstone getroffen habe) auch bei der Familie war. Wir verbrachten einen lustigen und spannenden Abend zusammen. 

Was hatte ich wieder Mal für ein Glück. 

Was habe ich alles für tolle Menschen kennengelernt. 

 

Am nächsten Morgen war ich ausgeruht und fit für den nächsten Tag. Die 10 Kilometer zur Raststätte waren schnell zurückgelegt und diesmal kam ich auch über die 200 Kilometer südlich weg. Überhaupt liefen die ersten 40 Kilometer Heute ziemlich gut. Der Wind war zwar noch da aber abgeschwächt. Als sich mir der Table Mountain zum ersten Mal zeigte wurde ich emotional. Ich stoppte, schaute den Berg für 20 Minuten an und weinte - vor Freude. Bilder von meinem ganzen Trip flogen durch meinen Kopf und manchmal für ganz kurz Millisekunden wird mir bewusst was Arby und ich in den letzten Monaten geleistet haben. 

Als ich dann auf den letzten 20 Kilometer nach Melkbosstrand war nahm der Wind wieder zu. Ich tat mich auch hier etwas schwer eine Unterkunft zu finden. Die Lodges waren mir zu teuer und der Campingplatz war mir nicht sympathisch und mit 300 Rand zu teuer. 

Für 300 Rand (teuerster Camping meiner Reise) erwarte ich andere Reviews als: "Sanitäre Anlagen sind heruntergekommen, Duschen defekt. Die Beste ist übrigens die ganz links ohne Duschkopf" 

Schliesslich fand ich aber dann doch ein Guesthouse, welches zwar der gleiche Preis wie die anderen hatte aber ich bekam ein ganzen Apartment dafür und die Dusche funktionierte einwandfrei. 

Nun ist Cape Town zum greifen nah. Nur noch 33 Kilometer bis zur Waterfront. 

Ich nahm easy aber selbst diese letzten 33 Kilometer musste ich mir noch verdienen. Wieder Gegenwind. Immerhin entschädigte die Sicht auf den immer näherkommenden Table Mountain und Lions Head. 

Der Verkehr in Cape Town ist was vom gefährlichsten was ich auf meiner Reise erlebt habe. Ja, ich hatte mir tatsächlich überlegt für die letzten Sieben Kilometer ein Taxi zu nehmen. Ich überquerte mit Arby mehrmals sechsspurige Strassen wo die Autos nur so angebraust kamen. 

Tausende von Randsteinen und der eine Veloweg, den ich mal gefunden hatte, hörte nach Zwei Kilometer einfach auf. 

Es wurde dann aber besser, als ich endlich in die Strasse an der Waterfront einbog. Dort war zwar auch einiges los - meine direkte Todesangst war aber vorbei. 

Und dann war ich da - in Cape Town und das einzig Gefühl was ich hatte war, ich werde ich dieser Stadt keinen Meter mehr Fahrrad fahren. Was für ein Schluss.

Unterwegs habe ich mir Town-Kleider gekauft. Ja so was wie Hosen ohne Polster. 

Nur wenn ich meinen gefahrene Strecke auf der Karte anschaue, wird mir ein wenig bewusst was Arby und ich in den letzten Monaten gemacht haben. 

 

Was die Leistung wert ist? Nicht mehr oder weniger als was jeder Mensch jeden Tag leistet.

Wie oft habe ich nach 100 Kilometern auf dem Rad gedacht, dass das schon eine ziemliche Leistung von mir war heute. Dann habe ich aber Frauen gesehen die Kilometerweit mit kiloweise sperrigem Holz oder Wasser auf dem Kopf gehen. Kinder die nie im Leben ein Fahrrad besitzen werden und barfuss neben mir her rennen. Männer die auf einem alten, quitschenden Stahlfahrrad mit 50 Liter Wasser beladen neben mir herfahren – einfach um von A nach B zu kommen und nicht um sich selbst zu verwirklichen.

In diesen Momenten erscheint meine Leistung nur ganz klein ja, schon irgendwie arrogant. Mir ist bewusst wie unglaublich privilegiert ich bin und dass ich - auch wenn ich es manchmal selbst nicht glaube - freiwillig gemacht habe.

Manchmal fühlte es sich sogar falsch an sich selbstzuverwircklichen und seine Träume zu leben währenddessen andere sich körperlich genauso verausgaben nur um zu überleben.

Dies war auch die grösste Herausforderung meiner Reise. Es waren nicht die vielen Kilometer, die vielen Pannen, die Belästigungen in Tanzania, nicht der Polizist der mich geschlagen hatte, ja nichtmal der Wind in Cape Town. Es war die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Wünschen und Träumen von mir und anderen Menschen die ich auf meiner Reise kennengelernt habe. Die verschiedenen Leben die wir führen und Motivationen etwas zu tun.

Jeder Mensch auf der Welt macht täglich sein Bestes. Egal wo. Egal bei was. Egal wie. 

Die Leistung ist nicht grösser wenn man einfach seinen Alltag lebt oder seinen Traum verwirklicht.

 

Es spielt keine Rolle ob man Kinder grosszieht, Hunde erzieht, Autos repariert, Kaffee serviert, Bücher schreibt, Marathon rennt, Strassen fegt, Ugali kocht, Berge erklimmt, oder einfach einem irgendeinem langweiligen Job nachgeht um über die Runden zu kommen.

Wichtig ist – und ich glaube das liegt in der Natur des Menschen, dass man jeden Tag sein bestes gibt.

Ich glaube es muss nicht alles immer Sinn machen. Nicht alles kann einem gänzlich erfüllen. Es ist aber schön immer wieder solche Momente der Erfüllung zu erleben. Egal bei was.

 

Es wäre aber gelogen, wenn ich behaupten würde nicht doch ein klein wenig stolz auf mich zu sein. 

 

Als ich in Cape Town eingefahren bin und mir ein Savanna in einer Bar an der Waterfront gegönnt habe während ich auf den Einzug in mein Zimmer gewartet habe waren das meine Gedanken meiner Reise:

 

*7000 Kilometer - ziemlich weit für jemand der eigentlich gar nicht sonderlich gerne Fahrrad fährt*

 

Als ich in Kenya an einem meiner ersten Tage von einem interessierten Motorradfahrer angehalten wurde, musterte er erst mich und dann Arby mit einem skeptischen Blick. 

"There is nothing special about it" fasste er den Zustand meines Bikes - oder vielleicht auch meinen Plan Afrika zu bereisen zusammen. 

Rückblickend betrachtet, eine Beleidigungen und zugleich ein Kompliment.

 

Ja, there is nothing special about it. Arby ist kein teures Touring - Gravel oder Strassenbike. Was ist Arby eigentlich? Eigentlich ist er nicht mal ein richtiges Mountainbike. Und ich, ich bin eigentlich überhaupt keine Radfahrerin, sondern nur eine  einfache Frau mit einem Traum. Ich liebe es zu Wandern und zu Laufen. Dies ist die natürlichste Fortbewegung für uns Menschen. - Für mich jedenfalls. Ein Fahrrad ist eigentlich "zu viel" für mich. Nichts desto Trotz, faszinierte mich die Herausforderung von "Mensch und Maschine"

 

Arby ist - wie ich ein Allrounder. Einer der alles so ein bisschen aber nichts so richtig gut kann.

Wir sind beide einfach. Nichts Spezielles. 

Ist vielleicht genau das das Geheimnis?

Der Satz des kenyanischen Motorradfahrers, flog mir jedenfalls oft durch den Kopf während ich auf den verschiedenen Strassen Afrikas unterwegs war. 

Von meinen früheren Abenteuern weiss ich, dass es nicht das Material ist, was einem seine Träume erfüllen lässt. Es ist, vor allem die Fähigkeit seine Träume überhaupt zuzulassen, starke Willenskraft, das Glück gesund zu sein, Mut und ein bisschen realistische Naivität a.k.a Verrücktheit.

 

Ach, was bekam ich alles für tolle Tipps von Bierbauch-in-viel-zu-enge-Trikots-gepressten-Midlife-Crisis-Rennfahrern und überhaupt von Menschen, die noch nie weiter als zum Bäcker mit dem Fahrrad gefahren sind.

Ich bräuchte ein Stahlfahrrad - dann könnten die es schweissen in Afrika. 

Mein Gepäcksystem sei nicht aerodynamisch genug. 

Ob ich den nicht ein Garmin GPS Tracker montieren wolle?

Der Sattel ist das wichtigste...

Tubeless, Du brauchst Tubeless... 

Was mit 26 Zoll Rädern willst Du los? 

Kannst Du ein Rad denn reparieren? 

Was? Als Frau alleine?

 

Ja, auch ich glaubte nicht daran, dass mein billiger Gepäckträger, der bereits am ersten Tag gebrochen war bis zum Ende durchhält. 

Ich wusste nicht wie die Menschen in Afrika sein werden.

Was ich aber immer wusste, dass wir Europäer ein völlig verzerrtes Bild von Afrika haben. Messerstecherein, primitive Lebensumstände und Vergewaltigungen sind tief in unserem Bild von Afrika enthalten. Und sonst dann wenigstens einen Löwen der einem jagt und auffrisst.

 

Auch wenn mich die vielen Tipps zugegeben manchmal ein bisschen verunsichert haben - denn auch ich bin schliesslich vorher nie weiter als zum Bäcker geradelt - habe ich sie alle einfach ignoriert und bin losgefahren.

Mit einer positiven Einstellung und einem Drang Afrika zu sehen, wie es nur sehr wenige Menschen zu sehen bekommen. Mit dem Wissen, dass Afrika anders ist als unser Bild und mit dem Vertrauen zu meinem Körper. Mit viel Liebe zu Arby ❤️ 

 

Viele Fragen mich wie ich mit der Armut und den vielen armen Menschen klarkäme... 

Naja, da gibt es nichts klarzukommen, ich habe kein einziges unglückliches Gesicht gesehen hier in Afrika. 

Ist es das Bruttoinlandprodukt was uns reich macht? Sind es nicht vielleicht andere Dinge? 

Sind nicht vielleicht wir, die finanziell Gutgestellten sind die wirklich Armen? Arm an Freude, Leichtigkeit, Resilienz, Zeit und Durchhaltewille?

Haben wir Geld, dafür aber verkümmerte Fähigkeiten? 

Warum sind wir eigentlich überzeugt davon, dass "unser Lebensstil" der Beste wäre? 

Sind wir vielleicht abhängig, von Hilfsmitteln, die eigentlich gar keine sind? Eingeängt in all den Regeln und gesellschaftlichen Erwartungen? 

Es läuft einfach anders hier in Afrika - keineswegs aber schlechter. Es sind andere Dinge die zählen im Leben - es ist nicht das  Geld. 

Ein afrikanisches Sprichwort sagt ein wenig zünisch über die "Mzungus" : Ihr  habt die  Uhren und wir die Zeit. 

Nichts trifft den afrikanischen Lifestyle besser als dieser Satz. Was nützt einem die schönste Uhr, wenn man keine Zeit hat?

 

Es ist noch zu früh um all meine Gedanken über das Erlebte zusammenzufassen.

Alles was ich weiss ist, dass 7000 Kilometer ziemlich weit sind für jemanden, der eigentlich gar nicht so gerne Fahrrad fährt. 

Das es aber eine erneut, verdammt geile Lücke in meinem Lebenslauf war.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jörg Ehrhardt (Mittwoch, 30 März 2022 11:35)

    Hallo Sandra,
    stelle gerade fest, dass ich deinen Bericht taufrisch gelesen habe. Nun bin ich sogar deine Nummer 1, die dir gratuliert! Also, HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH zu dieser wiederum sehr, sehr tollen Leistung. Genieße noch die letzten Tage in Afrika und eine gute und gesunde Heimkehr nach Europa (hier sieht´s gruselig aus!)
    Lass es dir gut gehen und mal wieder was von dir hören. Das war doch bestimmt nicht dein letztes Abenteuer!
    Viele Grüße vom Jörg (demnächst auf dem PCT)